Die grüne Fee im Regal des Supermarktes

   Absinth
 
REF:  TA 03.02.2002 Christine D'Anna-Huber Motiers
   Erfasst von Rene Gagnaux



Zubereitung:
Nach fast hundertjährigem Verbot wird im Val-de-Travers wieder ganz
legal Absinth gebrannt. Späte Genugtuung für eine regionale
Spezialität oder Tod einer Legende? :Die Todesanzeige erschien nur in
der Lokalzeitung. Die Liebhaber der wahren Tradition, die Freunde der
Träume und der Feen, die Hüter der wahren Moral des Val-de-Travers,
die Gegner schnöder Spekulationen und fader Kopien gaben darin den Tod
von Madame Blanche Laverte, geborene Absinth, bekannt. Die alte Dame,
die während Jahrzehnten sehr zurückgezogen gelebt und nur noch ihre
engsten Freunde empfangen habe, sei am 6. Dezember an den Folgen der
Gewinnsucht gestorben. :Denn seit dem 6. Dezember darf Yves Kübler,
Nachkomme einer alten Schnapsbrennerfamilie aus Motiers, mit dem
offiziellen Segen des Kantons Neuenburg, seinen 'extrait d'absinthe'
herstellen.
Ein paar Tausend Liter des nach traditionellem Rezept aus verschiedenen
Kräutern hergestellten Getränkes sind zwei Wochen später bis auf den
letzten Tropfen verkauft. Besonders gross ist die Nachfrage in der
Deutschschweiz. Bei einem Besuch in Küblers Büro läutet ständig das
Telefon: Wo ist der neue Absinth erhältlich? Wann kommt endlich die
nächste Lieferung? - Kübler verbirgt seinen Stolz nicht: 'Geschmack
und Farbe unseres Produktes entsprechen der grünen Fee.' :Doch streng
nach Gesetz handelt es sich bei diesem neuen Aperitif nicht um Absinth,
wie der Kantonschemiker Marc Treboux ausführt: 'Es enthält kaum
nachweisbare Spuren der psychoaktiven Substanz Thujon und nur 45
Prozent Alkohol.' Somit fällt es nicht unter das Absinthverbot, das
seit der Revision der Bundesverfassung 1999 einzig im
Lebensmittelgesetz übrig geblieben ist. Interessant ist, dass gemäss
Treboux auch im schwarz gebrannten Absinth keine höheren Thujonwerte
zu finden seien, was damit zusammenhänge, dass heute meist nur noch
getrocknete Kräuter verwendet würden. Illegal bleibt also selbst bei
der 'clandestine' einzig der hohe Alkohogehalt (über 50 Prozent) - und
die Tatsache, dass nicht bewilligte Destillierapparate verwendet
werden. :Merkwürdiger Geschmack :Nicolas Giger, der jedes Jahr im Juni
im benachbarten Boveresse eine 'fete de l'absinthe' organisiert, kommt
auch ohne chemische Analyse zum Schluss, dass Küblers neustes Produkt
mit Absinth nicht viel zu tun habe: 'Es hat einen merkwürdigen
Beigeschmack, ein bisschen, wie wenn man sich eine Tauchermaske übers
Gesicht zieht.' Noch entschiedener fällt das Urteil von Pierre-Andre
Delachaux aus, passionierter Absinthforscher und Konservator des
Regionalmuseums in Motiers: 'C'est de la merde.' Der Verfasser mehrerer
historischer Studien über die sagenumwobene 'fee verte', ihrer Farbe
beim Zugiessen von Wasser wegen auch 'la bleue' oder 'le petit lait'
genannt, ist auf Kübler schlecht zu sprechen: 'Er hat seine Seele
verkauft. Hat mit seinem im Supermarkt erhältlichen Allerweltsgebräu
den Absinth ein zweites Mal ermordet.' :Denn für Delachaux ist heute
erwiesen, dass das Absinthverbot von 1910 das Resultat eines
politischen Komplottes war. Weinbauern und Schnapsbrenner wollten sich
der populären und preiswerten Konkurrenz entledigen. Unterstützt
wurden sie vom Blauen Kreuz und allerlei Moralaposteln, die im
legendären Getränk der Pariser Boheme eine Gefahr für die
öffentliche Ordnung sahen. Als Beweis galt nicht zuletzt, dass immer
mehr Damen auf den Geschmack kamen, im Wirtshaus 'der blauen Stunde' zu
frönen, statt sich sittsam um ihren Haushalt zu kümmern. Um die
Öffentlichkeit zu überzeugen, wurde ein Familiendrama im Waadtland
instrumentalisiert, wo ein Mann im Vollrausch Frau und Kinder
umbrachte. Die Gräueltat wurde dem 'verrückt machenden' Absinth
angelastet, obwohl der Mann ein notorischer Weissweintrinker war. Wie
schädlich das im Grossen Wermutkraut vorhandene halluzinogene Thujon
wirklich ist, wurde nicht seriös untersucht. :Bedrohte Rezepte :Durch
das Verbot verlor das Val-deTravers, wo zu Beginn des Jahrhunderts
fünfzehn Destillerien Absinth brannten und in alle Welt verkauften,
auf einen Schlag 300 Arbeitsplätze. Damals erschien die erste
Todesanzeige von Madame Blanche Laverte. Und gleichzeitig wurde
beschlossen, im Geheimen weiterzumachen. Heute wird die Anzahl der
Schwarzbrenner auf ungefähr 80 geschätzt. Für Delachaux sind sie
'Widerstandskämpfer', von denen ein jeder ein sorgfältig
überliefertes Rezept mit bis zu 15 verschiedenen Kräutern hüte.
Diesen kulturellen Reichtum sieht er durch das ohne Anstrengung
erhältliche neue Produkt in Gefahr: 'Bisher musste man sich den
Absinth verdienen. Musste wissen, wo und bei wem anklopfen. Konnte ihn
nicht trinken, ohne an seiner Legende weiterzuspinnen.' : Nicolas Giger
jedoch kann dem 'koffeinfreien Absinth' auch eine gute Seite
abgewinnen. Seit diesem Jahr ist in der EU Absinth mit begrenztem
Thujonwert - da streng genommen von Gesetzes wegen kein Absinth -
wieder zugelassen. Noch im. Dezember sollte im nahen Pontarlier ein
solches Produkt auf den Markt kommen: 'Da ist es doch besser, jemand
hier aus dem Tal, wo der wahre Absinth herkommt, sei ihnen
zuvorgekommen', sagt Giger. Auch der Neuenburger Kantonschemiker Marc
Treboux argumentiert in die gleiche Richtung: 'Wir haben das Gesetz
liberal interpretiert. Denn das entspricht dem Willen des Bundesrates,
unsere Gesetzgebung im Bereich der Lebensmittel europakompatibel zu
machen.' : Selbst die Aufhebung des noch bestehenden Verbotes scheint
seit dem 6. Dezember nicht mehr unmöglich - sie würde es erlauben,
den wahren, über 50-prozentigen Absinth durch eine 'appellation
d'origine contrölee' zu schützen.
Delachaux kann auch dieser Aussicht nichts Positives abgewinnen:
'Höchstens zwei, drei Absinthbrenner bekämen vom Bund eine
Konzession. Die übrigen wären zum Untergang verdammt, der stille
Widerstand einer ganzen Region wäre gebrochen.' Yves Kübler hat für
solche Argumente nur Spott übrig: 'Es gibt einfach Leute, die leben in
der Vergangenheit und verkennen die wirtschaftliche Realität.'



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