Ferran Adrià - Im Eldorado der kreativen Küche (Info)

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Zubereitung:
Mehrere Monate braucht der spanische Kultkoch, um aus einer Idee ein
servierfähiges Gericht zu entwickeln Roses - Ein surrealistischer
Salvador Dalí der Kochkunst, ein Alchimist? Ferran Adria, der spanische
Kultkoch, schüttelt energisch den Kopf. "Ein Koch, nur ein kreativer
Koch" will er sein.
Seit 20 Jahren arbeitet der 41-jährige Autodidakt im Restaurant "El
Bulli" bei Roses an der Costa Brava. Vor 10 Jahren begann er, sich als
kreativster Koch der Welt zu etablieren.

Über Dalís Geburtsort Figüras und Roses führt eine schmale,
gewundene Küstenstrasse in dieses Eldorado der kreativen Küche.
Die entlegene Bucht am Mittelmeer wird im Sommer von Touristen dicht
mit nackten Bäuchen bevölkert. Nicht jedem von ihnen würde Adrias
Essen schmecken. Denn der Vergleich zwischen den Kreationen der beiden
Katalanen, dem Koch und dem surrealistischen Künstler Dalí, erscheint
auf den ersten Blick gar nicht so abwegig.

Da quillt aus einer schrägen Glasform mit etwas Mandarinensüppchen
leckerer Karottenschaum, so luftig wie aus der Badewanne, der Käse
ringelt sich als transparenter Parmesan-Spaghetti im Teller, und um ein
kross frittiertes Sardinengerippe ballt sich Zuckerwatte mit
Fischaroma. Man beisst und schleckt sich zur knusprigen Gräte durch -
wer mag, isst auch den hohläugigen Kopf direkt aus der Hand.
"Überraschend muss die Küche sein", sagt Adria, "und provokativ".

Auch an Alchemie mag man glauben, wenn der schwarze Saft der
Tintenfische nicht als Sauce auf dem Teller schwimmt, sondern zu
kleinen, auf der Zunge zergehenden Kügelchen geformt ist.
"Flüssige Ravioli" nennt Adria das und formt sie auch aus Erbsensaft
oder zur Kaviar-Imitation: Die lachsfarbenen "Fischeier" aus der
iranischen Blechdose, die so zart am Gaumen platzen, sind dann aber aus
Melonensaft.

Adria ist ein Koch, der sich nicht lange mit der Frage herumschlägt,
wie die alte Küchentradition zu bewahren ist. "Die Traditionen
wechseln - für unsere Kinder sind Passionsfrucht oder tiefgekühlte
Pizza doch Tradition", sagt er. Es gebe keine Tradition, nur die lange
Geschichte des Kochens. Er hat deshalb auch keine Berührungsängste
gegenüber den Produkten der Nahrungsmittelindustrie. "Es gibt
vorzügliche Produkte im Supermarkt. Warum sollte ich hier selbst Eis
herstellen?" Viel lieber nimmt er neue Erfindungen der Küchentechnik
an oder entwickelt eigene Methoden. Adrias Küche ist ein "Labor des
Geschmacks", ein Kochsaal in Granit, Stahl und braunem Holz, mit einer
Glaswand zum nackten Naturfelsen draussen. Einem Reporter der "New York
Times" erläuterte Adria, wie das neue Verfahren der "flüssigen
Ravioli" funktioniert: Tintenfische-Tinte, Gemüse- oder Fruchtsaft
wird mit Alginat aus Tang vermischt. Dieses formt sich in
Kalziumchlorid von allein zu Kügelchen.

Im dem eher altmodisch-schlicht eingerichteten Restaurant serviert
Adria heute ausschliesslich ein Degustationsmenu aus etwa 30 kleinen
Gerichten, die mal nur ein Biss, mal eine kleine Tellerportion sind.
Da wechseln die überraschenden Geschmackserlebnisse, die amüsanten
Augen- und Gaumenspielereien und grosse Kochkunst. In schneller Folge
lässt er Passionsfruchtsaft mit Kaffeearoma auftragen, vier frisch
geschälte Mandeln - süss, salzig, sauer und bitter gewürzt:
Minimalistisch weiss auf schwarz liegen die vier Grundaromen auf einem
schwarzen Granitplättchen. Es folgt ein einzelner Löffel-Genuss in
goldüberbackenem Eigelb, eine Parmesan-Eiswaffel.

Und wenn die Tischnachbarin nach dem 10. Minigang noch seufzt: "Ich
sehne mich nach einem schönen Lammkotelett mit grünen Bohnen und
Kartoffelgratin", wird sie durch runde Geschmackserlebnisse versöhnt:
spanischer Speck mit Krebsfleisch und frischem Koriander und dann
eisgekühlter Gänseleberschnee am Rand einer Schale mit einer heissen
Geflügel-Consommee. "Immer abwechselnd löffeln", sagt der Kellner.
Die gefrorene Gänseleber wurde im Turbomixer zu Pulver zerstäubt.

Also kein surrealistischer Dali, kein Zauberer, sondern viele Ideen,
moderne Küchentechnik, Design, Konzept, Perfektion und Arbeit.
Mehrere Monate braucht Adria, um aus einer Idee ein servierfähiges
Gericht zu entwickeln. Ganz neu sind auch die leichten, schmackhaften
Schäume, einfach "Luft" genannt. Den Begriff Kochkunst will Adria für
sein Können auch nicht benutzen. "Essen ist etwas, das nach der
Kreation völlig verschwindet", argumentiert er. "Da entsteht kein
bleibendes Kunstwerk wie beim Malen oder Bildhauen." Umfassender als
andere kulturelle Tätigkeiten sei die Küche aber, weil sie alle fünf
Sinne in Anspruch nehme - und den sechsten, den Humor.

Seit sich Adrias Ruhm verbreitet hat, muss man Monate oder gar Jahre im
Voraus reservieren: Hunderttausende von Anfragen hat das "El Bulli"
verzeichnet - nur etwa 8000 Essen werden pro Saison von April bis
September serviert. Das einst von zwei Deutschen gegründete Restaurant
wurde nach einem Bullterrier benannt. Kompakt, energiegeladen ist auch
der Chef - freundlich überzeugend bei der Erklärung seiner Kunst, vor
Zorn sprühend in der Küche, weil der erste Mann der Küchenbrigade
eigenmächtig etwas im Menu geändert hat: "Niemals, niemals, niemals!"
sollten sie das wieder tun.

In der Küche arbeiten 35 junge Leute aus aller Herren Länder - eine
grosse Zahl für 45 Gedecke am Tag. "Meine UNO", sagt der Chef.
Er kontrolliert und notiert, schneidet etwas schwarze Pasta ab, hebt
sie in kochendes Wasser, schaut auf den Sekundenzeiger und probiert.
Die Helfer formen kleine Kugeln mit verschiedenen Zitrusaromen, die
sich später mit kross gebratenem Lachs entfalten, schnippeln Banane
peinlich genau in winzige Würfel, nummerieren die Zutatenteller.

Vor dem Essen wird jeder Gast im Restaurant nach seinen Abneigungen
oder Allergien gefragt: Roher Thunfisch, Kaninchenhirn, Austern?
Entsprechend wird die Speisefolge individuell geändert; jeder Gast
bekommt sein Menu ausgedruckt. "Nein, noch niemand ist vorzeitig
gegangen", sagt der Kellner nach dem Gang mit transparenten, krossen
Kaninchenohren. "Wer hierher kommt, ist neugierig und offen." 135 Euro
kostet das Menu, zu dem man sehr gut Wasser trinken kann - fast billig
im Vergleich zum Gebotenen und zu den Preisen französischer
Küchenstars wie Alain Ducasse und Marc Veyrat, wo schon eine Vorspeise
über 100 Euro kosten kann. Aber gegen diesen Adria und einige seiner
Kollegen in der neuen spanischen Küche haben die Franzosen ohnehin
einen schweren Stand. "Spanien steigt auf, Frankreich bleibt zurück",
schrieb die "New York Times".

In drei erstaunlichen dicken Büchern hat Adria die Entwicklung seit
1985 festgehalten. Im dritten sind die Kreationen 444 bis 825 (Mosaik
von Erdbeer- und Pinienkrokant) fotografiert und beschrieben - eine
systematisch durchdachte Geschichte seiner Konzepte und Kreationen, mit
bestechenden Fotos und zeitlich genau festgelegten Perioden:
Minimalismus, Dekomposition, Symbiose von süss und sauer... Im Herbst
soll der erste Band in Deutschland erscheinen.

Im 10. kreativen Jahr im "El Bulli" hat Adria eine Pause eingelegt.
"2002 kam kein einziges neues Gericht auf die Karte", sagt er.
Niemand hat es angesichts der unglaublichen Fülle der Variationen so
richtig gemerkt. Denn man geht hier nicht ins Restaurant, um ein
bestimmtes Gericht zu probieren, sondern um ein Gesamtkunstwerk mit
ständig wechselnden Facetten zu erleben.

Was die neusten Tendenzen dieses Jahres sind, weiss der Katalane noch
nicht so genau. Erst in der Winterpause wird aufgearbeitet, weiter
entwickelt, analysiert und geschrieben. "Die Gefahr", sagt der Spanier,
"ist nicht, dass wir keine Ideen mehr haben. Die Gefahr ist, dass wir
uns selbst kopieren." Und kopieren, so lautet sein Credo, ist der
direkte Widerspruch zur Kreativität.

El Bulli im Internet:
http://www.elbulli.com

http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/497757/artikel
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